Homöopathie: Heilslehre oder Medizin?
Die Kontroverse um die Homöopathie ist beinahe so alt wie diese selbst: Für die einen ist sie eine unwissenschaftliche und nicht selten gefährliche Heilslehre; für die anderen eine „sanfte“ und nebenwirkungsarme Alternative zu schulmedizinischen Behandlungsmethoden. Nicht wenige Ärztinnen und Ärzte nutzen homöopathische Verfahren in Kombination mit schulmedizinischen Methoden zur Behandlung von Patientinnen und Patienten. Die Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ kann von Ärztinnen und Ärzten im Rahmen der ärztlichen Weiterbildung erworben werden.
Der „Münsteraner Kreis“, ein informeller Zusammenschluss von Expertinnen und Experten, die sich
kritisch mit der komplementären und alternativen Medizin auseinandersetzen, hat unlängst gefordert, die Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ ersatzlos zu streichen. Es sei „ethisch nicht vertretbar, dass Ärztinnen und
Ärzte systematisch Verfahren empfehlen und einsetzen (dürfen), die in der Wissenschaftlergemeinschaft alserwiesenermaßen unwirksam gelten“ und es widerspreche „dem Anspruch der Ärzteschaft auf eine wissenschaftliche fundierte Versorgung“. Zudem schwäche die Zusatzbezeichnung „durch eine Verwischung der Grenzen zwischen Wissenschaft und Glauben das Ansehen der wissenschaftlich begründeten Medizin.“
Der 121. Ärztetag in Erfurt hat dieser Forderung bei der erfolgten Novellierung der Musterweiterbildungsordnung nicht entsprochen. Die Kontroverse um die ärztliche Zusatzbezeichnung, davon darf man ausgehen, wird weitergehen. Der Streit über die Homöopathie ohnehin. Unter anderem im Rahmen der Jahrestagung des Centrums für Bioethik:
Homöopathie: Heilslehre oder Medizin? Mit Andreas Holling (Arzt für Allgemeinmedizin, Zusatzbezeichnung
Homöopathie) und der Ärztin und Autorin Dr. Natalie Grams.
Bericht der homöopathischen Ärzteschaft im Münsterland über die Veranstaltung:
Am Fr. 6. Juli 2018 lud das Centrum für Bioethik der Universität Münster zu ihrer dreistündigen öffentlichen Jahresversammlung zum Thema „Homöopathie: Heilslehre oder Medizin“ ein. Zu hören waren je ein Vortrage à 45 min. von Dr. Natalie Grams und Andreas Holling.
Anschließend gab es Zeit für Diskussion und Fragen an die Referenten. Der Hörsaal in der medizinischen Fakultät der WWU war mit ca. 120 Personen gut und bunt gefüllt. Es wurde deutlich, dass im Publikum etwa gleich stark Befürworter und Kritiker der Homöopathie vertreten waren.
Frau Dr. med. Natalie Grams, gegenwärtig nicht ärztlich tätige Autorin, bekennende Atheistin, Religionskritikerin und selbstberufene Aufklärerin verkündete ihre Fundamentalkritik an der Homöopathie in der ihr eigenen Suggestiv-Rhetorik. Schon zu Beginn ihres Vortrags wurde das Publikum gewarnt, der Nachmittag könne nicht ganz so nett und harmonisch ablaufen, wie man sich das vielleicht wünsche. Sie habe die Homöopathie erlernt und eine gut gehende homöopathische Praxis übernommen; davon die letzten 3 von insgesamt 5 Jahren in eigenen Räumen. Erst während der Recherche zu einem Buch über die Homöopathie habe sie erkannt, wie falsch diese sei und sich gezwungen gefühlt, ihre angeblich erfolgreiche Praxis aufzugeben. Die Grundlagen und Grundannahmen der Homöopathie seien veraltet, die Orientierung an Einzelfällen sei unwissenschaftlich. Die Studienlage spreche für ihre Unwirksamkeit. Die Erfolge der Homöopathie seien durch Regression zur Mitte erklärbar etc.
Mit dem Vorwurf an die Techniker Krankenkasse, diese „veruntreue“ mit der Bezahlung homöopathischer Leistungen Versichertengelder, konnte das Publikum spontane Unmutsäußerungen nicht mehr zurückhalten. Grams präsentierte in stereotyper Weise Beispiele, in denen angebliche „Scheinwahrheiten“ zu entlarven waren. Ihre Kernbotschaft an das Publikum war, sich nicht täuschen zu lassen. Sie habe die Wahrheit hinter den „Lügen“ der Homöopathie erkannt und müsse nun darüber aufklären. Besonders die Patienten müsse man vor geldgierigen Homöopathen und deren Machenschaften schützen. Sie selber sei auch Opfer dieser Scheinwelt geworden und habe dabei selber Kritiker wie z.B. Prof., Edzard Ernst unreflektiert auch „nur gehaßt“. Mit ihm arbeitet sie inzwischen im sogenannten „Münsteraner Kreis“ zusammen.
In diesem verbal ausfallenden Fahrwasser, welches allen Regeln einer „gewaltfreien Kommunikation“ widersprach, war es nur schlüssig, die Homöopathie abschließend mit Begriffen wie „unterlassene Hilfeleistung“, „Abzocke“ und „Betrug“ zu kriminalisieren. Die Homöopathie diffamierte sie als einen „Irrglauben“.
Zusammenfassend blieb außer dem Versuch einer Stimmungsmache gegen die Homöopathie an wirklichen Inhalten wenig übrig. Der von ihr schon bekannte populär-populistische Duktus läßt fundiertes Fachwissen und Substanz vermissen. Die darüber hinaus gehenden Unterstellungen böswilliger und eigennütziger Absichten („Abzocke“, „Betrug“, „Veruntreuung“) sind so abwegig wie gegenstandslos. Diese sagen daher eher etwas über die innere Seelenstruktur der Referentin aus. Die Frage ist: Wer lügt hier? Denn anders als von ihr behauptet, hat sie nachweislich keine homöopathische Praxis übernommen. Ihre Motive bzgl. der Wandlung zur professionellen Homöopathiekritikerin erscheinen nicht nachvollziehbar und wenig plausibel. Die ganze Wahrheit dazu liegt noch nicht auf dem Tisch.
Andreas Holling, Homöopathischer Arzt und Arzt für Allgemeinmedizin referierte über „Homöopathie: Wissenschaft und Wirksamkeit“
Als Sohn in einem Arzthaushalt aufgewachsen kenne er die konventionelle Medizin von klein auf. Seit über 30 Jahren führe er nun eine private homöopathische Praxis in Münster.
Nach einer Standortbestimmung der Homöopathie als empirischer Wissenschaft, bei der alle Forderungen einer Wissenschaftlichkeit gegeben seien (Definition der Fachbegriffe durch die zugeordneten empirischen Untersuchungs- und Messmethoden etc.) müsse klar gemacht werden, dass die Homöopathie keine Pharmakologie sei, sondern ihr ein eigener Wissenschaftsbereich im Umfeld der aktivierend-trainierenden medizinischen Interventionen zustehe. Die Pharmakologie mit der hauptsächlich von ihr eingeführten RCT Methode sei mit ihrer völlig andersartigen therapeutisch eingreifenden bzw. unterstützenden Intervention kein Maßstab für die Homöopathie. Diese greife schon seit ihrem Bestehen auf mehr qualitative Forschungsmethoden zurück. Trainierende Verfahren müssten mehr auf Abstände der Wiederholungen und auf individuelle Anpassungen des Stimulus achten als auf quantitative Wirkspiegel. Die Homöopathie verfüge über einen von der konventionellen Medizin noch nicht wahrgenommen Schatz und Reichtum an Erfahrungswissen, welches in den umfangreichen und detaillierten Arzneimittellehren und Repertorien mit Millionen von Einzelerfahrungen dokumentiert sei.
Daneben stelle sich die Homöopathie den Forderungen einer EBM und demonstriere auch eine gegen Placebo nachweisbare spezifische Wirkung. Mit Metaanalysen könne man je nach Definition der Einschlusskritierien das Endergebnis manipulieren, wie man an den eklatanten Verfahrensfehlern und Fälschungen der Australischen Übersichtsarbeit (2015) sehen könne.
Zwei Videoausschniitte eines Interviews mit Dr. Heiner Frei, Kinderarzt mit über 30 Jahren Praxiserfahrung sowie positiven Bewertungen der Wirksamkeit der Homöopathie durch den Arzt der deutschen Nationalmannschaft Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt illustrierten die empirische Verankerung der Homöopathie. Zahlenmäßig, historisch und weltweit sei die Homöopathie eine Erfolgsgeschichte. Sie verringere wesentlich das Gefahrenpotential, welches von Nebenwirkungen konventioneller Medikamente ausgehe. Mit ihrer ganzheitlichen und präventiven Ausrichtung werde ihr komplementäres Potential für die konventionelle Medizin nicht ausreichend wahrgenommen. Es fehlten gemeinsame Erfahrungsräume von konventionell und komplementär arbeitenden Medizinern. Ein Dialog auf Augenhöhe und mit Respekt sei dafür die Voraussetzung. Diesen Respekt vermisse er bei dem INH und bei Frau Grams. Er verwehre sich aufs Schärfste vor deren Unterstellung böswilliger Absichten (Betrug, Abzocke), dem Versuch einer Kriminalisierung der Homöopathie und der Krankenkassen („Veruntreuung“) und einer Verunglimpfung der Homöopathie durch pauschal abwertende und lächerlich machende Zuschreibungen.
In seinem abschließenden Plädoyer sprach er sich für „Inklusion statt Exklusion“ aus. Die Beispiele fruchtbarer Zusammenarbeit konventioneller und komplementär tätiger Medizinern müssten vermehrt und ausgebaut werden. Es fehle an gemeinsamen Erlebensräumen in der Praxis oder Klinik. Die direkte Begegnung und gemeinsame Arbeit könne ideologische Grabenkämpfe vergessen und das Wohl des Patienten zum Maßstab werden lassen.
Die Homöopathie gehöre zu Deutschland und sie gehöre zur Medizin.
Zusammenfassend entwickelte Holling in einem dichten, sachlichen und selbstbewußten Vortrag einen grundsätzlich anderen Blick auf das Phänomen Homöopathie. Die Wissenschaftlichkeit der Homöopathie wurde überzeugend und ohne Widerspruch anwesender Kritiker dargelegt. Ihre Verortung außerhalb der Pharmazie und der damit einhergehenden Eigenständigkeit öffnete die bisher verengte Diskussion. In der Darstellung der Wirksamkeit der Homöopathie konnte er neben der Studienlage auch die historische und zahlenmäßig kollektive Verankerung und Bestätigung dieser Heilweise als schwergewichtiges Argument anführen. Souverän wirkte auch das abschließende Plädoyer für Dialog und mehr Integration. Ein deutlicher und lang anhaltender Applaus bestätigte die Zustimmung des Publikums.
In der nachfolgenden Diskussion bzw. Aussprache gab es wechselseitig kritische Fragen an beide Referenten. Diese waren teils sachlicher Natur, teils massiv wertender Natur und damit keine wirklichen Fragen, sondern „statements“. Eine differenzierte Beschreibung und Bewertung der Fragen und Antworten würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen.
Die Moderation durch Prof. Quante war gleichermassen streng wie fair.
Abschließend empfahl Prof. Quante das Centrum für Bioethik als Vermittler in dem Streit. In dieser stark emotional geführten Diskussion sei eine sachliche Auseinandersetzung zielführend und böswillige Unterstellungen nicht förderlich.